Pfarrerskinder 3:
Anna Dorothea, Stammmutter eines amerikanischen Clans
1646, als sich die Pfarrersfrau Anna Wolfhard, geb. Burckhart, auf ihre fünfte Geburt vorbereitete, war die Lage im Kraichgau immer noch sehr unsicher. Dass sich die Pfarrfamilie vom Steinsberg nach Sinsheim begeben hatte, ist deshalb durchaus einsehbar, denn auch wenn Sinsheim eine entvölkerte Kleinstadt war, hätten für die Familie bei Komplikationen bessere Hilfsmöglichkeiten bestanden als in der Enge der Burg.
Vermutlich hat sich die Witwe Colmann, die Patin, längere Zeit bei der Pfarrfa-milie aufgehalten, im Haushalt der Hochschwangeren nach dem Rechten gesehen und sich um die beiden Buben gekümmert. Noch waren die Kriegsereignisse voll im Gange, so dass man nicht wagte, eine Kirche oder gar die Kirche in Dühren aufzu-suchen. Auch als zwei Jahre nach der Geburt der Anna Dorothea der schreckliche 30-jährige Krieg endete, normalisierten sich die Verhältnisse im Land nur sehr langsam. Die Dörfer waren verwüstet, die Bevölkerung dezimiert, und die Soldaten der riesigen Armeen waren auch nicht plötzlich verschwunden. Wohnsitz- und bindungslos vagierten sie im Land, suchten ihren Lebensunterhalt nicht in ehrlicher Arbeit, denn das hatten sie in den 30 Kriegsjahren ja nicht gelernt. Da das nächste Kind der Pfarrfamilie 1649 im Schloss zu Eichtersheim geboren wurde, war die Familie wohl noch nicht nach Dühren zurückgekehrt.
Von der Kindheit und Jugend der Anna Dorothea ist nur wenig zu erfahren. Schon mit 14 Jahren übernahm sie 1660 eine Patenschaft und taucht in den Folgejahren (1661[2x]; 1666; 1667) noch viermal als Patin auf. Sie heiratete mit 23 Jahren den Tuchmacher Hans Melchior Brentz aus Althausen bei „Mergenthal“ (gemeint ist Mergentheim). Ihr Bruder Alexander Rudolph traute das Paar am 16. November 1669 in Dühren. Bis zum 06. Dezember blieben die frisch Verheirateten noch in Dühren. Dann begaben sie sich in Begleitung von Hans Georg nach Althausen. Der Abschied ist den Eltern schwer gefallen. „Hatt Iren Abschied allhie nit ohn Betrübnis der älter genommen…“ schreibt der Vater im Liber animarum. Er sollte die Tochter nicht mehr sehen.
Der Vater des jungen Ehemanns war Schul-diener in dem kleinen Dorf Althausen. Hanß Melchior war „Wullin Knapp“ (=Wollknappe) oder Tuch-macher. Das deutet auf einfachste, um nicht zu sagen ärmliche Verhältnisse hin. Zwar war der Tuchmacher im Vergleich zum Leineweber schon der anspruchsvollere Beruf, denn er stellte aus Wolle die feinen Tuche her, aber das Handwerk ernährte kaum eine Familie. Da es in einem feuchten Raum im Erdgeschoss ausgeübt wurde, war es recht ungesund.Das erste Kind der Familie Brentz/Wolffhart, Anna Barbara kam 1671 in Althausen zur Welt.(1) Aber schon Johann Heinrich (*25. Mai 1772) ist in Dühren geboren. Welche Gründe für den Umzug der Familie ausschlaggebend waren, ist nicht eindeutig fest zu machen. Ob Anna Dorothea Heimweh hatte, oder ob die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Dühren besser waren. Möglicherweise hat der verwandtschaft- liche Rückhalt oder die Sorge um die gerade verwitwete Mutter zu dem Ortswechsel geführt.
Das Liber Animarum nennt die folgenden Kinder des Ehepaares (2):
1. Anna Barbara * 1671 zu Althausen
2. Johann Heinrich *25. Mai 1672 († 06. Aug. 1727) "Vom Donner auf dem Feld erschlagen" (3)
3. Hans Jörg * 13.Mai 1674, † 24. Juli 1674
4. Hanß Ludwig * 05. Sept. 1675
5. Hanß Peter, * 19.Sept, 1677
6. Christoph * 24. Sept. 1679, am gleichen Tag getauft
7. Johann Christoph *20. Mai 1681
8. Anna Maria * 17. Juni 1684, † 26. Dezember 1684
9. Alexander Rudolph * 01. Mai 1686 (Pate: Onkel Alexander Rudolph. Pfarrer in Ottmarsheim), † 26. Januar 1688.
Eine Randbemerkung neben dem Eintrag von Anna Maria (1684) lässt auf ein Familiendrama schließen:
Was da in der Nach-weihnachtszeit 1684 genau vorgefallen ist, lässt die Notiz des Pfarrers nicht erkennen. Die Belastung der 38-jährigen Mutter scheint derart drückend gewesen zu sein, dass sie buchstäblich davon gelaufen ist. Denn so ohne weiteres lässt eine Mutter ihr Kind und ihre Familie nicht im Stich. Haben Krankheit, wirtschaftliche Not und der überaus strenge Winter Verzweiflung ausgelöst, die zu einer Postpartalen Depression führte? – Da nähere Angaben fehlen, muss die Angelegenheit im Dunkel bleiben. Jedenfalls hat Anna Dorothea nach diesem Vorfall 1686 – nun 40 Jahre alt - als letztes Kind den Alexander Rudolph geboren.
Gestorben ist Anna Dorothea 1703 im Alter von 54 Jahren.
Während Anna Dorotheas ältester Sohn Johann Heinrich in Dühren wohnen blieb und hier im August 1627 durch einen Blitzschlag im Feld verstarb (4), wird ihr fünftes Kind, Hans Peter Brentz als in Amerika verstorben erwähnt (5). Sein Todesdatum wird allerdings nicht genannt. Victor Prince erwähnt vier Söhne des Johann Heinrich Brentz, die im Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten gekämpfte haben (6):
Georg Brentz, Philipp Brentz, Gottlieb Brentz (Godlove Printz) und Gottfrey (Gottfried) Prince.
“George Brentz and his brother Philipp, Jr. were born in Germany and survived the trip to America to later serve in the Virginia Militia during the Revolutionary War, as did their younger brothers, Cutlip (Gottlieb) and Godfrey who were born in Pennsylvania. … Godlove Printz, whose name had been anglicised from Gottlieb Brentz, came to Virginia with his parents and upon the death of his father in 1794 became "Governor of Printz Town" by purchasing the interests of his siblings. The second record of Godlove, also known as Cutlip and Godlip, is on Nov. 2, 1775 when he is mentioned in Gwathmey who reported him in the Virginia militia and paid at Romney. He was a private in Capt. Joseph Bowman's Co., of Virginia Militia, soldiers in the west.”(7)
„Georg und sein Bruder Philipp überlebten die Überfahrt nach Amerika…“, schreibt Victor Prince. Für Kinder war diese Seereise äußerst strapaziös. Die Schiffe – meist umgebaute Frachter - waren bis zum letzten Platz ausgelastet. Die Passagiere lebten da unter primitivsten Bedingungen und in drangvoller Enge. Schon die Anreise nach Rotterdam war beschwerlich. Über 30 Zollstationen musste das Rheinschiff passieren, so dass allein die Reise auf dem Rhein vier bis fünf Wochen, manchmal länger, dauerte. Die anschließende Wartezeit in Rotterdam schlug ein weiteres Loch in die Reisekasse. Die größte Enttäuschung jedoch bereiteten die Schiffe. Die Reisenden wurden in primitiven Behältnissen eng an eng zusammengepackt. Mit drastischen Worten schildert Gottlieb Mittelberger das Elend auf diesen Schiffen: “Während der Seefahrt aber entstehet in denen Schiffen ein jammervolles Elend, Gestank, Dampf, Grauen, Erbrechen, mancherley See-Krankheiten, Fieber, Ruhr, Kopfweh, Hitzen, Verstopfungen des Leibes, Geschwuls-ten, Scharbock, Krebs, Mundfäule und dergleichen, welches alles von alten und sehr scharf gesalzenen Speisen und Fleisch, auch von dem sehr schlimmen und wüsten Wasser herrühret, wodurch viele elendiglich verderben und sterben. … Dieser Jammer steiget alsdann aufs höchste, wann man noch 2 bis 3 Tag und Nacht Sturm ausstehen muß …, daß man glaubt samt Schiff zu versinken, wobei das Schiff von dem Sturm und Wellen all Augenblicke von einer Seite zur anderen schlägt, daß niemand im Schiff weder gehen, sitzen noch liegen kann, und die so eng zusammen gepackte Leute in den Bettstatten dadurch übereinander-geworfen werden, Kranke wie die Gesunde; … Manches seufzt und schreyet: Ach! Wäre ich wieder zu Hause und läge in meinem Schweinestall.“ (8)
Die massenhafte Auswan-derung aus den süddeutschen Ländern wurde verursacht durch desaströse Verhältnisse: Durch wirtschaftliche Not, rechtliche Unsicherheit, politische Willkür und die latente Kriegs-gefahr sahen die Menschen in der Pfalz und im Kraichgau keine Zukunft. Diese Zustände machten es den Werbern leicht, mit optimistischen Versprechungen die Verzweifelten zur Reise zu bewegen. Erhielten sie doch auch für jeden Geworbenen eine Kopfprämie. Die Werbeschriften malten die neue Welt in den rosigsten Farben, doch die Realität für die ersten Siedler war hart und entbehrungs-reich.
Trotz aller Widrigkeiten haben sich die Brentzens/Printzens/Princes erfolgreich in Amerika integriert. In den Befreiungskriegen haben sie für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten gekämpft. (9)
Zahlreiche Nachkommen von Hanß Melchior Brentz und Anna Dorothea geb. Wolffhart leben gegenwärtig in den Vereinigten Staaten.
Anmerkungen:
(1) Pfarrer Pistorius in Dühren - seit 1670 im Amt - hat den Einrag der Familie Brentz wohl einige Zeit später vorgenommen, denn bei dem Kind Anna Barbara hat er die genaueren Daten nicht erfasst, bei Johann Heinrich konnte er sich nicht mehr an den Familiennamen des zweiten Paten, eines Sinsheimer "Tuchschärers", erinnern. Auch beim dritten Kind Hanß Jörg stößt man auf eine Lücke statt auf den Namen des Paten.
(2) Liber Animarum, Seite 69, Die Familienseite von Hanß Melchior Brentz und Anna Dorothea, geb. Wolffhart.
(3) Quelle dieser Information: 1. Victor Prince: Pre-Prentz Family Tree and History back to 1375; WWW.princefamilyhistory.com. 2. Kirchenbuch Dühren, Sterbeeintrag vom 06.08.1727
(4) Siehe Anm. 3.1
(5) www.geneagraphie.com, Stichwort "Hans Melcior Brentz".
(6) Victor Prince: Prince/Printz Family History; From Brentz in Dühren, Germany, to "Printz" in Shenendoah Valley in Virginia to Prince in Ohio and Beyond, www.princefamilyhistorywar .Com/revolutionarywar.htm
(7) Ebd.
(8)Gottlieb Mittelberger: Reise nach Pennsylvanien im Jahr 1750 und Rückreise nach Teutschland 1754, Stuttgart 1756
(9) Siehe Anm. 6