Dürnau und die Familie Lazarus (1583)
Die Pogrome, die nach der Jahrtau-sendwende an den Juden verübt wur-den, sind eines der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte. Um Be-gründungen für die Gräuel war man nicht verlegen: Vor-würfe der Hostien-schändung und des Gottesmordes lös-ten Massaker des christlichen Mobs aus. Im 14.Jahrhundert beschuldigte man sie, durch Brunnenvergiftung Pestepidemien ausgelöst zu haben. Der Zugriff auf jüdische Vermögen war Begleiterscheinung, oft auch Motiv für diese Verbrechen.
1498 wurde den Juden der Aufenthalt in Württemberg verboten. Ausnahmsweise konnten sogenannte „Schutzjuden“ hier wohnen, vor allem, wenn dies besondere Vorteile einbrachte. Ritterschaftliche Orte waren von diesem Verbot zwar nicht betroffen, schlossen sich jedoch teilweise dem württembergischen Vorgehen an. In Dürnau lebten in der Reformationszeit keine Juden. (1)
Ende 1582 oder Anfang 1583 erlaubte der Ortsherr von Dürnau, Wolf von Zillenhardt, dem Juden Lazarus und seiner Familie sich hier niederzulassen. (2) Lazarus musste ein Schutzgeld von jährlich 25 Gulden zahlen. Wie andere kleine Herrschaften hatten auch die Zillenhardts trotz ihres Besitzes Mühe ihren herrschaftlichen Lebensstil zu finanzieren. Dabei war der Ortsherr wohl situiert: 1565 bis 1576 war er in württem-bergischen Diensten Obervogt von Blaubeuren, dann 1573/74 Hofgerichtsassessor in Stuttgart, anschließend bis 1579 Kammer-meister der herzoglichen Rent-kammer, anschließend lebte er in Dürnau. (3) Seine Positionen verlangten natürlich eine ent-sprechende Repräsentation, die wohl auch ins Geld lief. Zwischen 1570 und 1580 ließ er sich das „alte Schloss“ in Dürnau neu errichten.(4) In den 1570er Jahren hatte er wohl auf Betreiben seiner Frau in seinem Besitz Geradstetten Schwenckfeldianern(5) Schutz gewährt .
Nun nahm Wolf von Zillenhardt also 1582(3) eine jüdische Familie in Dürnau auf. Als Wohnung wies er ihr das Frühmess-haus(6) am östlichen Orts-rand zu. Das war eindeutig ein Rechtsbruch, denn das Haus gehörte gar nicht ihm sondern der Frühmesse, einer Stiftung der Gemein-de.(7) Allerdings war das Haus lange Zeit unbewohnt geblieben, da das Kloster Adelberg die Kaplanstelle unbesetzt ließ. Bereits über ein halbes Jahrhundert hatte das Frühmesshaus als Armenhaus für den kurzzeitigen Aufenthalt armer Bettler gedient. Mit dem Einzug der jüdischen Familie hatten die Dürnauer Einwohner ein Problem mit den Armen.
Pfarrer Eninger – seit 1577 in Dürnau – schrieb deshalb an die württem-bergische Synode, warnte auch in seinen Predigten die Dürnauer Kirchgänger vor Lazarus. Und es gab durchaus Probleme mit den Neuankömmlingen. So soll Lazarus beim Zechen dem Schmied Martin Weinzürn, einem Schwager des Pfarrers, Geld geboten haben, wenn er ihm ein silbernes Kännlein besorge, das dem Pfarrer gehöre. Ob der Pfarrer von Lotenberg oder Pfarrer Eninger gemeint war, ist nicht auszumachen. Zu beachten ist auch, dass alle Informationen über diese Angelegenheit vom Pfarrer stammen, also berufsbedingt parteilich sind.
Lazarus und seine Frau hielten mit ihren jüdischen Glaubensüberzeugungen auch nicht hinter dem Berg. Dass der Sabbat nicht der Sonntag sondern der Samstag sei, das wisse doch der Pfarrer. Auch an der Gestalt Christi entzündeten sich die Gemüter: Frau Lazarus habe ihn einen Zauberer genannt, der seine Wunder durch Zauberei bewirkt habe. Auch sei Christus nicht auferstanden, sondern sein Leichnam sei gestohlen worden.
Als die Familie Lazarus in der Passionszeit eine Hochzeit feiern wollt, intervenierte Pfarrer Eninger bei der Ortsherrschaft und erreichte ein Verbot durch den Junker. Dessen Gesinde allerdings sei bezüglich des Gottesdienstbesuchs nachlässig. Dies sei wohl darin begründet, dass in der Predigt die Irrtümer des Juden angesprochen werden.
Die Synode ersuchte die württembergische Regierung „der Jude möge abgeschafft werden“, (8) denn er brächte Unruhe in das Dorf und beflecke auch die Nachbarschaft mit seinen Geldgeschäften. Die Regierung übte Druck auf Wolf von Zillenhardt aus, der schließlich nachgab und den Aufenthalt der Familie Lazarus in Dürnau beendete. Der Vorfall trübte jedoch das Verhältnis von Pfarrer Eninger zur Herrschaft. 1585 wechselte der Geistliche nach Holzheim.
Anmerkungen:
(1) Noch 1716 bestimmte der Artikel 26 der Dürnauer Dorfordnung: „Item soll bei straff fünfzig gulden kein unterthan mit denen Juden weder mit entlehnen, bürgen werden, kaufen, tauschen oder in ander weeg nichts zu thun oder zu schaffen haben …“
(2) Alle Informationen zum Aufenthalt der jüdischen Familie sind entnommen aus: Gustav Bossert: Die Reformation in Dürnau O:A: Göppingen, in Blätter f. württ. Kirchengeschichte, Bd. 14, 1910, Seite 49 ff.
(3) DI 41, Göppingen, Nr. 354 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di041h012k0035408.
(4) Mario Bayer: Der Stauferkreis entpuppt sich als Burgenland, in Staufen plus – Agentur für Kommunikation und Werbung, Göppingen.
(5) Anhänger einer strengen Strömung des Protestantismus, benannt nach Caspar von Schwenckfeld. Die Theologie der Schwenckfeldianer unterschied sich von der Theologie Luthers besonders in der Abendmahlslehre und der Christologie. Die Schriften Schweckfelds wurde in Württemberg 1535 verboten, Anhänger der Lehre waren nicht geduldet.
(6) Das Frühmesshaus steht an der Ecke Gammelshauser Straße / Schulstraße. Das genaue Baujahr ist nicht bekannt. Nach Anmerkungen in den Gemeinde-rechnungen ist es im 30-jährigen Krieg abgebrannt, wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut und an Privatleute verkauft. (Gemeindearchiv Dürnau,)
(7) Die Frühmesse war 1417 gestiftet und worden, um dem Bedürfnis der Einwohner nach geistlicher Betreuung besser nachkommen zu können. Die Stiftung verfügte über Grundbesitz und Geldvermögen.
(8) Gustav Bossert, a.a.O