Die Anfänge der Familie Wolfhard in Waiblingen
Familiennamen im heutigen Sinn gibt es erst seit dem Mittelalter. Sie haben sich aus Beinamen entwickelt, die zunächst nur an eine Einzelperson gebunden waren und nicht vererbt wurden. Die Vererbung der Beinamen begann in Norditalien im 11. Jahrhundert. Im 14. Jahrhundert war der Gebrauch eines festen, vererblichen Bei- oder Familiennamens auch in Deutschland üblich, zuerst in den Städten, im 15. Jahrhundert überall im deutschen Sprachraum. (1)
Die Familiennamen entstanden aus Berufen (Bauer, Böttcher, Fischer, Meier,), aus den Eigenschaften einer Person (Fröhlich, Groß, Redlich, Stark), aus Vermögensverhältnissen (Reich) oder einfach aus den Vornamen (Friedrich, Michel, Peters). So ist auch aus dem Vornamen Wolfhard der Familiennamen Wolfhard entstanden, und man kann davon ausgehen, dass in unterschiedlichen Gegenden ganz unterschiedliche Familien Wolfhard entstanden sind, die nicht das geringste miteinander zu tun haben. Andererseits ist die Mobilität der spätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Menschen nicht zu unterschätzen. Der Aktionsradius der Söhne von Michael Wolfhard im 16.Jh. mag dafür ein Beispiel sein. So ist ein verwandtschaftlicher Zusammenhang über weite Entfernungen durchaus möglich, im Einzelfall allerdings heute kaum mehr zwingend nachzuweisen.
Der Name Wolfhard hat als Vorname eine lange Tradition. Auf der Reichenau wird ein Wolfhart 805 als Zeuge erwähnt, ein Bischof Wolfhard von Minden ist 890 urkundlich bezeugt, der Recke Wolfhart im Nibelungenlied des 12. Jahrhunderts ist ein Neffe desHildebrand und wird insgesamt 29 mal erwähnt. (3) Er kämpfte gegen den Riesen Püsold und besiegt ihn schließlich, nachdem er zuvor heftig einstecken musste.
Der erste Teil des Namens ist die Bezeichnung eines starken Tieres. Wolf, Bär, Eber und Löwe wurden gern zur Benennung verwendet. Die Namensträger identifizierten sich mit der Stärke dieser Tiere. Der zweite Namensteil ist das althochdeutsche „hart“ in seiner Bedeutung von stark, kühn.
Die Familie Wolfhard taucht in Waiblingen zu Beginn des 15. Jahrhunderts auf. Der erste schriftliche Beleg nennt 1448 Haintz Wolffhart. Er zinste für einen Acker am Remser Weg. (4) Ein weiteres direktes Zeugnis über ihn ist die Erwähnung seines Namens 1461. Es wird erwähnt, dass für das Haus, das er besessen hat, nun die Gräfin Anna von Katzenelnbogen Abgaben in Höhe von 6 Schilling Heller an das Esslinger Predigerkloster zu geben hat. (5) Anna von Katzenelnbogen war die Schwester des regierenden Landesfürsten Ulrich von Württemberg, und höchst wahrscheinlich war das Haus des Haintz Wolfhard als Wohnstätte für die Gräfin geeignet, also gediegen und gehobenen Ansprüchen genügend.
Auf den Wohlstand der Familie weisen auch die Vermögensverhältnisse der Söhne des Haintz hin. Erhard und Ludwig Wolffhardt hatten beachtlichen Grund- und Hausbesitz. Ludwigs Häuser standen in bevorzugter Lage am Marktplatz. Beide Brüder trugen außerdem durch Spenden zum Bau der Michaelskirche bei. Diese Spenden waren wohl beachtlich, denn für eine Kleinspende wäre das Wappen der Wolffhardt - Familie nicht in einen Gewölbeschlussstein des Innenraums eingemeißelt worden.
Außer Haintz wird im Spitallagerbuch von 1446 die „Wolffhartin“ erwähnt, die für einen Garten „uff der alten Staig" jährlich 5 Schilling Heller zinst. Walter Ludwig vermutet in ihr die Mutter des Haintz. Sie wäre dann die Witwe eines älteren Wolfhard, "vielleicht des ersten in Waiblingen“, der möglicherweise aus der näheren Umgebung zugezogen ist. 1410 ist „der Wolffhart“ mit einem Weinberg in Strümpfelbach erwähnt, also ganz in der Nähe, und 1350 hatte ein Wolffhart in Rielingshausen einige württembergische Lehen. (7)
Von Haintz Wolffhart sind bis heute keine weiteren Informationen bekannt. Man kennt weder die Familie seiner Frau noch weiß man etwas über mögliche weitere Kinder.
Nachrichten gibt es aber über die beiden Söhne des Haintz, Erhard und Ludwig . Sie werden im Waiblinger Kellereilagerbuch von 1494 genannt. Erhard besaß ein Haus, Garten und Weingärten. Für sein Haus zahlte er Zinsen an das Stift und die geistliche Verwaltung in Stuttgart.(8) Ludwig besaß zwei nebeneinander liegende Häuser am Markt, also in bester Lage, und ein weiteres "an der Straß" (9) . Er wird als „erbar und wohlbeschaiden“ bezeichnet (10). Einen Teil seines Reichtums hat er wohl aus der elterlichen Hinterlassenschaft geerbt, möglicherweise aber verdankt er einen beachtlichen Teil seines Vermögens seiner Heirat mit einer Tochter des Matthäus Egen und er selbst scheint ein tüchtiger Mann gewesen zu sein. Nach den erwähnten Zinsverpflichungen war er erheblich wohlhabender als sein Bruder Erhard. Und berücksichtigt man, wo seine Söhne Simon und Matthäus studiert haben, so lässt dies auf ein wohlbetuchtes Elternhaus schließen.
Das Humpis-Quartier in Ravensburg zeigt großbürgerliche Wohnkultur im Späten Mittelalter. Ludwig Wolffharts Häuser am Waiblinger Markt waren wohl vergleichbar ausgestattet. (Foto: Hans Wolfhard)
Rückschlusse auf die Vermögenslage der beiden Wolffhart-Brüder lässt auch ihr Beitrag für den Bau der Michaelskirche zu. Mit dem Bau dieser Kirche wurde bereits 1440 begonnen, also lange bevor die Brüder das Licht der Welt erblickten. Der Städtekrieg, Hungerzeiten und der Pfälzer Krieg verzögerten den Bau immer wieder. Schließlich konnte er 1490 fertig gestellt werden. Die lange Bauzeit dokumentiert auch eine wichtige soziale Entwicklung: Während anfangs hauptsächlich Adelsgeschlechter den Bau förderten, engagierten sich im letzten Bauabschnitt die Bürgerfamilien: die Sattlers, die Wolffhardts, die Kühorns und die Liedhorns. (11) Das Wolffhardt – Wappen in einem Schlussstein des Langhausgewölbes bezeugt die Spendenfreudigkeit der Brüder Erhard und Ludwig, und es waren - wie erwähnt - sicher keine kleinen Spenden. Man ließ sich das Seelenheil und das öffentliche Ansehen etwas kosten, damals, am Ende des 15.Jahrhunderts.
Für den Erhalt des Vermögens und des Einflusses der ehrbaren Familien war die Heiratspolitik äußerst bedeutsam. Ehen waren nicht in erster Linie eine Liebesangelegenheit zwischen zwei Menschen. Sie waren ein vermö-genspolitischer und familienpolitischer Akt. Liebe oder Zuneigung spielten – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Im Laufe eines längeren Ehelebens entstanden allerdings häufig Wertschätzung und Liebe.
Eine Tochter des Ludwig Wolffhart, deren Namen nicht genannt ist, war mit dem Bürgermeister Hans Kühorn verheiratet. Eine andere Tochter hatte in die Aichmann– Familie eingeheiratet, eine einflussreiche ehrbare Familie aus Schorndorf, die hohe Ämter an der Universität Tübingen und in der herzoglichen Regierung inne hatte. Hans Wolfhard heiratete Barbara Kühorn, die Tochter des Waiblinger Vogts. Man heiratete untereinander und achtete darauf, dass man sich gegenseitig Ämter, Vermögen und Einfluss sicherte.
Anmerkungen:
(1) Steibicke, Wilfried: Die Personennamen im Deutschen, Berlin 2008
(2)Holz, Georg (HG): Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms, Halle 1893, veröffentlicht in: Heidelberger historische Bestände digital http:// digu.ub.uni-heidelberg.de
(3) Rusam, Adolf: Ahnenbuch Wolffhardt, Mühltal - Traisa 1978, Selbstverlag. Seite 215 ff
(4) Ludwig Walter, Dr. Prof.: Die älteren Wolffhart, in Waiblingen, Kühorn-Nachkommen V, Seite 231
(5) Anna von Württemberg wurde 1408 in Waiblingen geboren. Ihr Vater war Graf Eberhard IV., ihre Mutter Henriette de Montfaucon, Comtesse de Montbelliard. Als 14-jährige wurde sie 1422 mit dem Grafen Philipp von Katzenelnbogen verheiratet. Dieser unternahm 1433 eine Pilgerfahrt ins Heilige Land, dies leitete eine Entfremdung des Ehepaares ein.. Anna versuchte angeblich mit Liebeszauber und Beschwörungen ihre zerrüttete Ehe zu retten und erreichte das Gegenteil. 1457 kehrte Anna nach endgültiger Trennung nach Württemberg zurück und nahm ihren Wohnsitz im Waiblingen, im Haus des Haintz Wolffhart. Hier starb sie am 14. April 1471.
(6) Stadtarchiv Esslingen, LB63 b (1461) Bl. 10
(7) Ludwig, Walter, a.a.O. Ludwig betont allerdings, dass aus dem Vornamen Wolfhard an mehreren Orten der Familienname Wolfhard entstanden sein kann und dass es verfehlt sei, die Waiblinger Wolffhart ohne weitere Anhaltspunkte mit weiter entfernten Wolfhart-Familien in Beziehung zu setzen.
(8) Rusam, a.a.O Seite 137
(9) ebd.
(10) Ludwig, a.a.O. Seite 231: Die Bezeichnung "Ehrbar" und "Ehrbarkeit" bezeichnen eine Besonderheit in der württembergischen Landesverfassung. Ihre Mitglieder rekrutierten sich aus dem städtischen Bürgertum und waren vermögend. Nur Mitglieder der Ehrbarkeit konnten neben dem Adel dem Landtag angehören. Hier erreichten die bürgerlichen Ehrbaren ein bestimmendes Gewicht. (Haug-Moritz, Gabriele: Die württembergische Ehrbarkeit: Eine Annäherung an eine bürgerliche Machtelite der frühen Neuzeit, Ostfildern 2009)
(11) Evang. Gesamtkirchengemeinde Waiblingen (Hg):Ein halbes Jahrtausend Michaelskirche in Waiblingen 1490 - 1990, Waiblingen 1989, Seite 13ff