Das Gespenst, das ein Ritter war (1600)
Der tragische Tod des Conrad von Degenfeld
Auf dem Dür-nauer Friedhof steht ein kapel-len-artiges Ge-bäude. Vermut-lich ist es ein ehe-maliges Beinhaus. Von Gebei-nen ist allerdings nichts mehr vor-handen. Dafür steht darin eine Kreuzigungs-gruppe, die in ihrer künst-lerischen Gestaltung beachtenswert ist: Ein ritterliches Paar kniet rechts und links neben einem Kruzifix. Aber keine Beschriftung verrät, um wen es sich da handelt.
Die Kleidung des Paares weist auf die Zeit um 1600 hin, und wohl begründete Vermutungen besagen, dass es sich um Konrad von Degenfeld und seine Frau Mar-garetha geb. von Zillenhardt handele. Das Paar lebte im alten Schloss Eybach. Konrads Vater Christoph von Degenfeld (1535 bis 1604) hatte eine einflussreiche Position inne: Er war württembergischer Landhofmeister in Stuttgart. Margarethas Vater war Wolf von Zillenhardt, der in Dürnau die Reformation einführte. Mit Ihrem Bruder Wolf Niklas starb 1623 die Dürnauer Linie der Zillenhardts aus, und das Erbe fiel an Margarethas Sohn Christoph Martin und damit an die Familie von Degenfeld.
Für die Familie des Konrad und der Margartha war das Jahr 1600 ein tragisches Jahr. Anfang Oktober waren sie auf einer Hochzeit in Waiblingen. Auf dem Rückweg am 10. Oktober wollten sie in Geradstetten im Remstal übernachten. Die Zillenhardts hatten hier ein kleines Schlösschen, denn ihnen gehörte etwa ein Drittel des Dorfes. An diesem 10. Oktober hielt Jacob von Gültlingen, der württembergische Obervogt in Schorndorf, Gericht über die württembergischen Einwohner von Geradstetten. Am Abend setzten sich die Herren zusammen, erzählten und zechten, wie es bei Freunden eben üblich ist.
Was sich in dieser Nacht ereignete, schildert Jacob von Gültlingen in einem ersten Verhör:
"Ungevehrlich umb Mitternacht, allß ich … daß Waßer entblösen wöllen und noch … voller Schlaafs, habe ich das Teckhbetth (Deckbett), gar seltzam geformirt …, auff frecht uff dem andern Bett stehen sehen, welches gar abscheulich und forchtsam zu sehen. Alß es sich auch anfangen zu regen und mir doch uff mein Anschreyen, Anreden und Zusprechen kein Wortt nicht antwortten wollen, … such ich mein Wehr. Diß vermeinte Gespenst (darfür ich’s auch gehabt) aber (hat) sich noch geregt. Ich habe auß Forcht und Schreckhen ein … lautes jämerliches Geschrey zum Laden hinauß … gehabt,. Indeme ich mich nach gedachten vermeindten Gespenst umsehe, ist mir ein Rappir (Degen) in die Hand worden, welches ich laider zu meinem großen Unglückh erwüscht. Indeme wischt (huscht) solches Teckhbetth von demselben Bett herunder auff mich dar, also weich ich zurückh, … mit Bedrohung und disen Wortten: Hallt inn, Hallt inn, oder ich stich zue, welches ich auch leider … vollbracht." (1)
Im Gegenwartsdeutsch ist das Geständnis leichter verständlich: "Als ich etwa um Mitternacht austreten wollte und noch voller Schlaf war, sah ich auf dem anderen Bett das Deckbett seltsam geformt aufrecht stehen. Das sah ganz scheußlich und furchterregend aus. Als es sich auch noch bewegte und mir auf mein Anrufen keine Antwort gab, sucht ich eine Waffe. Das vermeintliche Gespenst (wie ich meinte) hat sich auch noch bewegt. Aus Furcht und Schrecken schrie ich laut zum Fensterladen hinaus. Als ich mich nach dem vermeintlichen Gespenst umdrehte, ertastete ich zu meinem großen Unglück einen Degen. Darauf kam das Deckbett von dem Bett herunter auf mich zu. Ich wich zurück und drohte: „Halt ein, halt ein, oder ich steche zu!
Das tat ich auch leider."
Der Schreck des Jacob von Gült-ingen war groß. Das vermeint-liche Gespenst war sein Freund Konrad von De-genfeld. Der war tödlich getroffen und starb noch an Ort und Stelle. Jacob von Gültlingen wurde verhaftet und nach Waiblingen gebracht. Er durfte dem Stadtpfarrer noch einen Brief an seine Frau diktieren, wurde aber nach fünf-tägiger Gefangenschaft ohne Gerichtsurteil mit dem Schwert hingerichtet – eindeutig eine widerrechtliche Anordnung Herzogs Friedrichs I., denn in Württemberg durfte niemand ohne ordentlichen Prozess hingerichtet werden.
Die Witwe Konrads von Degenfeld zog mit ihren Kindern nach Eybach. Nach ihrem Tod (1608) übernahm ihr Bruder Wolf Niklas von Zillenhardt aus Dürnau die Erziehung der Kinder. Ihr Sohn Christoph Martin (*1599) erbte nach dem Tod des Onkels die Herrschaft in Dürnau und Gammelshausen. Er wurde als Feldherr in Dreißgjährigen Krieg berühmt. (Siehe: Christoph Martin von Degenfeld, ein Kriegsreisender; in Manfred Wolfhard: Dürnauer Schicksale, Gemeinde Dürnau 2014, Seite 71ff)